
„Welchen Laden hätten Sie gern auf Ihrer Xbox?“ – eine Frage, die bis gestern wie ein Witz klang. Ab morgen ist sie Produktstrategie. Microsoft und Asus bringen mit ROG Xbox Ally und ROG Xbox Ally X die ersten Xbox-Handhelds, die nicht nur wie Konsolen aussehen, sondern wie kleine PCs handeln – inklusive einer neuen, bildschirmfüllenden Xbox-Oberfläche, die Stores wie Steam, Epic Games oder Ubisoft Connect einlädt, statt sie auszusperren. Sollte sich dieses Paradigma halten, könnte selbst die nächste Wohnzimmer-Xbox eher ein kompakter Gaming-PC mit Xbox-Haut werden. Für eine Marke, die seit fast 25 Jahren vom Mythos der geschlossenen Box lebt, wäre das ein tektonischer Riss.
Das Hardware-Duo ist bewusst ungleich. Das ROG Xbox Ally X trägt den neuen AMD Ryzen AI Z2 Extreme: eine Strix-Point-APU mit Zen-5-CPU-Kernen und 16 RDNA-3.5-Compute Units, dazu eine XDNA-2-NPU für Aufgaben, die man gerne „intelligent“ nennt, solange sie Strom sparen oder Bilder schärfer machen. Im kleineren ROG Xbox Ally arbeitet hingegen ein Z2 A – technisch näher am Steam Deck als am großen Bruder: vier Zen-2-Kerne, eine RDNA‑2‑Grafik mit acht CUs, Speicher auf Steam-Deck-OLED-Niveau. Zwei Geräte, zwei Philosophien: oben die Effizienz- und AI-Finesse des Notebook-Jahrgangs 2024/2025, unten der bewusst konservative Energiehaushalt, der lange Sitzungen wichtiger nimmt als maximale Bildrate.
Die Oberfläche markiert den eigentlichen Tabubruch. Statt Windows mit der Maus zu zähmen, startet der Handheld in eine Xbox-Vollbild-Erfahrung, die sich mit D-Pad und Sticks durchdeklinieren lässt. Der Clou: Die eigene Spielbibliothek verteilt über Steam, Epic oder Ubisoft ist nicht mehr Ballast, den man erst mühsam per Touch freilegt, sondern wird nativ eingebunden. Damit nähert sich Microsoft dem, was Valves Steam Deck von Tag eins so überzeugend machte: Das Gerät verschwindet hinter dem Spiel. Nur dass hier nicht eine Plattform hofiert wird, sondern die ganze Ladenstraße. Der Rest – Profile, Lüfterkurven, Helligkeit – wird in Armoury Crate SE pro Modus geregelt: Leise, Leistung, Turbo; Akku und Netz werden separat gedacht, und im Turbo-Netzbetrieb sind bis zu 35 Watt vorgesehen.
Die Preisschilder verraten, wo die Reise hingeht: 899 Euro für das ROG Xbox Ally X, 599 Euro für das ROG Xbox Ally. Das Steam Deck OLED liegt darunter, punktet mit OLED-Panel und einer radikal einfachen Oberfläche, ist aber deutlich schwächer – und verzichtet bewusst auf „echtes Windows“. Microsoft will genau diese Lücke schließen: PC-Power, Konsolenkomfort, Service-Ökosystem – und dieses Mal nicht nur Game Pass, sondern der ganze Marktplatz.
Was folgt daraus? Erstens: Xbox könnte von der Hardwaremarke zur Service-Marke werden. Wenn die Xbox-Oberfläche das Steuer übernimmt und Windows das Fahrwerk stellt, wird der Hersteller des Gehäuses austauschbar – und die Bindung entsteht über UI, Multiplayer, Cloud, Achievements, Abos. Ironischerweise stärkt das die eigene Position gerade dadurch, dass man die Fremden hineinlässt. Es ist technisches Judo: Die Energie der offenen PC-Welt wird genutzt, um die Relevanz der Xbox-Experience zu erhöhen.
Zweitens: Die Handheld-Form wird zum bevorzugten PC-Gaming-Terrain. Nicht weil sie „besser“ ist, sondern weil sie entscheiden lässt, wo gespielt wird – auf der Couch, im Zug, am Schreibtisch mit Dock. Hybridität ist der neue Exklusivtitel. Wer morgens unterwegs streamt, mittags lokal rechnet und abends dockt, benötigt keine neue Plattform, sondern ein identisches Erlebnis in verschiedenen Aggregatzuständen. Eine konsistente Xbox-Oberfläche, die Steam und Co. kennt, liefert genau dieses Kontinuum.
Die integrierte NPU im Z2 Extreme öffnet eine zweite Front, die über Belichtung und Bildschärfe hinausgeht. Kurzfristig sind es pragmatische Helfer: rauschärmere Sprachchats, KI-gestützte Kameras, adaptive Leistungssteuerung, vielleicht auch schlauere Upscaling-Verfahren auf dem Gerät. Mittel- bis langfristig könnte die NPU die Latenzpsychologie beeinflussen: Bewegungsvorhersage, Controller-Filtering, Mikro-Lokomotion für VR-Streaming – lauter disziplinübergreifende Optimierungsfelder, die Handhelds wegen ihrer engen Energie- und Thermikgrenzen besonders dringend brauchen. Dass der Z2 A diese NPU-Schiene nicht in gleichem Maß bedient, zeichnet die Produktlinie sauber: Einstieg als verlässliche Spieluhr, X als Experimentierfeld für die nächste Stufe.
Offenheit ist aber kein romantischer Spaziergang. Eine Oberfläche, die mehrere Stores integriert, braucht klare Regeln für Anti-Cheat, DRM, Patches und Rückerstattungen. Wer ist zuständig, wenn ein Update den Controller aus dem Tritt bringt – der Store, der Treiber, das OS? In der Konsole alter Schule kam Hilfe aus einer Hand, im offenen Modell muss das Orchester stimmen, nicht nur der Dirigent. Microsoft hat hier einen Vorteil: Es kontrolliert Windows und die Xbox-Dienste. Der Nachteil: Es kontrolliert damit auch die Update-Frequenz – berüchtigt dafür, genau dann zu erscheinen, wenn man Zeit zum Spielen hat.
Eine zweite Reibung entsteht kulturell. Der Reiz klassischer Konsolen war nicht nur „es funktioniert“, sondern „es gehört mir nicht zur Hälfte einem Betriebssystem“. Wer ein Handheld mit Windows kauft, holt sich das Versprechen universeller Kompatibilität – und den Schatten alltäglicher PC-Sorgen: Treiber, Speicherplatzdiät, Benachrichtigungen. Die neue Vollbild-Xbox-Schicht muss diese Reibung restlos verschleifen. Gelingt das, verschwindet Windows – präsent, aber unsichtbar. Misslingt es, erinnern wir uns daran, warum Konsolen überhaupt erfunden wurden.
Angeregt durch jüngste Ankündigungen zu Xbox-Handhelds und neuen PC-APUs lassen sich zwei zusätzliche Gedanken skizzieren:
– Die „Xbox als UI“ ist eine stille Standardisierungsstrategie. Wenn andere OEMs folgen – wovon auszugehen ist –, könnte ein De-facto-Label entstehen: „Xbox-Ready Handheld“. Nicht „exklusiv“, sondern „kompatibel mit einem Erlebnis“. So schafft man Vertrautheit in einer fragmentierten PC-Nische, ohne sie zu schließen.
– Offene Stores auf einer Xbox-Oberfläche sind auch eine kulturpolitische Einladung: Mods, Nischen-Shopfronten, experimentelle Indie-Veröffentlichungen – all das findet auf einem Gerät statt, das historisch für kuratierten Mainstream stand. Sollte Microsoft diese Pluralität wirklich tragen, könnte die Xbox künftig eher wie ein Verlag agieren, der die Bühne baut und die Scheinwerfer liefert, statt die Stücke zu besitzen.
Termine und Preise stehen: Marktstart am 16. Oktober 2025, Vorbestellungen laufen, 899 Euro für das X, 599 Euro für das Basismodell. Hinter all den Zahlen steht eine simple Wette: Dass die Zukunft des Spielens nicht im nächsten Barren Silizium liegt, sondern in der Fähigkeit, Ökosysteme zu versöhnen. Wenn Handhelds, Wohnzimmerboxen und PCs unter einer Oberfläche dasselbe tun dürfen – und zwar mit den Bibliotheken, die wir bereits besitzen –, dann verschiebt sich die Machtachse vom Gerät zur Erfahrung. Die spannendste Xbox der nächsten Jahre könnte die sein, die gar nicht mehr wie eine Konsole wirkt. Und genau deshalb ernst zu nehmen ist.