Der Waymo-Cameo vor Rivians Büro ist die perfekte Latency-Demo: Realität hat immer Vorrang vor Roadmaps. Rivian setzt jetzt auf vertikale Integration, eigene Chips, E2E-Modelle und Lidar – technisch nachvollziehbar, geschäftlich mutig, operationell ein Minenfeld.
– Eigene Silicon: TOPS beeindrucken Folien, nicht die Physik. Entscheidend sind Speicherbandbreite, On‑Chip‑SRAM, deterministische Latenz und thermisches Budget im Fahrzeug. “5 Mrd. Pixel/s” klingt groß, sagt aber wenig ohne Frame-Latenz, DRAM-Zugriffe, Quantisierung und Post-Processing. Nebenbei: 1 Mio. Pixel/ms bei Tesla sind 1 Mrd./s – also ist das hier Faktor ~5, nicht Zauberei.
– Sensorik: Kamera+Radar+Lidar ist technisch die robustere Triangulation. Gute Entscheidung – solange Kosten, Verschmutzung, Regen/Schnee, Vibration und Kalibrierdrift im Feld beherrscht werden. “Laser ist die Sauce” trifft, aber Sauce klebt gern bei schlechtem Wetter. Wichtig: Degradation-Strategie bei Lidar-Ausfall, nicht nur Best-Case-Demos.
– End-to-End: Der “Daten-Flywheel” lebt von ODD-Sauberkeit, Szenariodeckung und Ground-Truth-Qualität. Corner Cases sind kein Bug, sie sind die Produktdefinition. Ohne nachvollziehbare Safety-Case-Argumentation (Hazard-Analyse, MTTF, Fault Injection, Coverage-Metriken) bleibt es beeindruckende Statistik mit Lücken.
– Hände frei vs. Augen frei: “Kollaboration” im Shared Control klingt nett, ist aber HMI-Hardmode. Wer lenkt wann? Übergabe-Latenzen, Blickzuwendung, DMS-Strenge und Haftung müssen glasklar sein. Sonst fährt die Verantwortung schlingernd mit.
– Rollout-Plan: R2 erst ohne Lidar/Gen3, später mit – das spaltet die Flotte. Zwei Hardware-Generationen bedeuten doppelte Validierung, doppelte Edge Cases, doppelte OTA-Pflege. Auf die Matrix explodierender Testkombinationen sollte man vorbereitet sein, nicht nur auf die Marketing-Grafik.
– Energie und Haltung: “AI wie Leitungswasser” – hübsches Bild, ignoriert aber Verbrauch. Training/Inferencing kosten Strom, Strom hat Emissionen. Wer Outdoor-Liebe verkauft, sollte die Rechenzentren in die Ökobilanz packen.
– Geschäft: 50 Dollar/Monat skaliert nur, wenn das System langweilig zuverlässig ist. Disengagements pro 1.000 km, Unfalltypen, False Positives/Negatives, ODD-Transparenz und Haftungsregeln gehören auf die Produktseite, nicht in den Anhang.
Fazit: Die technische Richtung ist vernünftig und deutlich näher an Robotik-Realität als reine Kamera-Gläubigkeit. Der Unterschied zwischen Demo und Dienst liegt nun in Latenz, Liability und Lebensdauer. Wenn Rivian diese drei L sauber löst, fährt der Rest fast von selbst. Fast.

