Warum das Bessere zu tun Zeit kostet

In diesem Artikel geht es einmal nicht um technische Zusammenhänge, sondern um meinen bescheidenen Versuch, meine Gedanken zur Komplexität des Denkens, zu verfestigen. Nun bin ich weder ein Wissenschaftler noch sonst in irgendeiner Form dazu prädestiniert dies zu tun, aber da es mich immer wieder beschäftigt, muss ich es endlich einmal aufschreiben.

Ich bin auf diese Gedanken gekommen, weil es mich immer wieder wurmte, wenn ich im Beruf oder bei gesellschaftlichen Ereignissen wie zum Beispiel Partys, nicht derjenige war, der bei bestimmten Fragen die erste und beste Antwort geben konnte. Da ich grundsätzlich davon ausgehe, dass ich relativ klug bin, begann ich darüber nachzudenken, warum ich nicht schnell und sicher antworten kann?

Es kann natürlich schlicht und einfach daran liegen, dass ich nicht klug genug bin.

Um eine Antwort auf die Frage zu finden, machte ich mir Gedanken darüber, was eigentlich in meinem Kopf abläuft, damit ich Fragen beantworten kann? Ich betrachte mein Gehirn als gigantisches Netzwerk von miteinander verbundenen Nervenzellen, von denen jede einzelne in der Lage ist eine Information zu speichern. Mehrere miteinander verbundene Gehirnzellen können unterschiedlich komplexe Informationen speichern.

Denke ich nach, beginnt offensichtlich irgendein Mechanismus in meinem Kopf mehr oder weniger zielgerichtet meine Gehirnzellen abzulaufen und die dort gespeicherten Informationen abzufragen, und auf eine mir nicht bekannte Weise zu verknüpfen, um – im Idealfall – zu einem neuen, noch nie gedachten Gedanken zu führen.

Wie das genau funktioniert, spielt für mich erst einmal keine Rolle. Aber es sollte klar sein, dass die Ergebnisse des Nachdenkens, neben dem verwendeten Mechanismus oder vielleicht Algorithmus, vor allem auch von der Komplexität des in meinem Gehirn aufgebauten Netzwerks aus Gehirnzellen abhängen. Also was habe ich im Laufe meines Lebens schon in meinem Hirn gespeichert, wie habe ich diese Informationen verknüpft und welche Methoden zur Verarbeitung setze ich ein.

Für mich ist klar, dass dieser Vorgang Zeit benötigt und dass er um so länger dauert, um so mehr Informationen vorhanden sind. Obwohl das möglicherweise auch eine Frage der Funktionsweise des Zugriffs ist.

Im Nachfolgenden möchte ich an einem vereinfachten Beispiel die Komplexität der Entscheidungsfindung erklären, wie ich sie sehe. Dazu verwende ich das Schachspiel und vermutlich können auch nur Schachspieler meine Gedanken dazu einigermaßen verstehen.

Für die Erklärung ist es wichtig zu verstehen, dass das Verrücken einer Figur einen Halbzug darstellt und erst die darauf erfolgende Aktion des Gegners, zusammen mit dem vorher erfolgten Halbzug, einen Zug darstellt.

Wenn Du Schach gerade erklärt bekommen hast und es zum ersten Mal spielst, dann bist Du noch überwiegend damit beschäftigt die erlaubten Züge einzuhalten. Und bist verwirrt darüber, das der Bauer zwar nur vorwärts laufen darf, aber im Gegensatz zu den anderen Figuren auf dem Spielbrett, diese nur schräg nach vorne schlagen darf. Aber schon wenn Du dass einigermaßen verstanden hast, passt Du auf, dass Du Deine Figuren nicht so ziehst, dass der Gegner sie bei seinem nächsten Halbzug schlagen kann. Es ist also eine gute Entscheidung, deine Figuren so zu ziehen, dass sie nicht geschlagen werden können und es ist eine schlechte Entscheidung, wenn sie geschlagen werden können!

Was wäre aber, wenn Du einen Halbzug machst, bei dem zwar Deine nicht so wichtige Figur durch eine wichtige Figur des Gegners geschlagen werden kann, Du aber anschließend diese wichtige Figur des Gegners schlagen kannst? Das wäre wiederum gut für Dich! Damit Du eine solche Möglichkeit erkennen kannst, darfst Du aber nicht nur einen Zug voraus denken, sondern Du musst stattdessen zwei Züge – also vier Halbzüge – voraus denken. Damit Du einen solchen Halbzug erkennen kannst, musst Du für alle für Dich in Frage kommenden Halbzüge überlegen, was der Gegner nach jedem dieser Halbzüge machen könnte und was Du nach dem Halbzug des Gegners machen kannst. Vielleicht erkennst Du schon, dass dies ziemlich viel zu überlegen bzw. zu denken ist. In welchen Dimensionen man sich dabei bewegt, kann man sich anhand der Weizenkornlegende klar machen.

Beim Schach geht ich dabei folgendermaßen vor: Jedes mal wenn ich am Zug ist, ermittele ich alle für mich selbst überhaupt möglichen Halbzüge. Für jeden dieser in Frage kommenden Halbzüge überlege ich nun, was daraufhin der Gegner für Halbzüge machen kann. Und für diese möglichen Halbzüge des Gegners überlege ich nun wiederum, was ich selbst darauf Sinnvolles machen könnte.

Befinde ich mich beim Schach in der Ausgangsstellung, so kann der Spieler mit der weißen Farbe (Weiß muss bei Schach immer anfangen) aus 20 verschiedenen Möglichkeiten seinen ersten Halbzug auswählen! Aber nach dem Weiß seinen ersten Zug gemacht hat, kann der Gegner für jeden dieser Halbzüge von Weiß mit gleichfalls 20 verschiedenen Zügen kontern! Das sind dann schon 20 mal 20 Halbzüge, also 400 verschieden Möglichkeiten! Und das geht so exponentiell mit jedem weiteren Halbzug weiter. Kurz: Schon nach wenigen Zügen ist eine für den Menschen unvorstellbar große Anzahl von Zugmöglichkeiten erreicht! Und sie ist nicht nur unvorstellbar, sondern es ist vor allem für den Menschen unmöglich, diese Züge alle im Kopf zu durchdenken.

Bitte denkt noch einmal an den Anfang dieser Erklärung: du machst einen Zug, der scheinbar dumm ist, da der Gegner daraufhin deine Figur daraufhin schlagen kann, du aber jetzt diese Figur deines Gegners schlagen kannst! Eine solche Konstellation kann sich aber auch erst einige Halbzüge später ergeben! Es könnte sein, dass du mehrere Halbzüge lang Figuren verlierst und scheinbar in eine immer schlechtere Stellung rutscht, nur um dann, mit einem ganz bestimmten Halbzug, die Dame des Gegners schlagen zu können oder ihn sogar gleich schachmatt setzt!

An diesem Beispiel kann ich erkennen, dass es nicht immer leicht ist, schnell auf eine optimale Lösung zu kommen. Oberflächlich betrachtet, also nur einen Halbzug tief, scheint schnell eine Lösung gefunden. Aber betrachtet man die Situation tiefer, zwei Halbzüge oder noch mehr, ist es nicht so leicht eine optimale Lösung zu finden. Aber vielleicht ist eine so gefundene Lösung viel besser, als die schneller gefundene Lösung?

Das Gehirn funktioniert nicht genau so wie ein Schachspiel. Beim Schachspiel kann man die Möglichkeiten theoretisch mit einem Baumdiagramm darstellen, dass heißt, Äste sind niemals direkt mit einem anderen Ast verbunden. Das Gehirn aber ist wie ein Netz aufgebaut und es ist möglich, das ein Ast direkt mit einem anderen Ast verbunden ist.

Auf Basis dieser Gedanken wieder zur eigentlichen Frage des Artikels zurück kommend, komme ich zu folgenden Schlussgedanken:

  • Die erste gegebene Antwort ist vermutlich nie die beste Antwort.

  • Die Welt ist immer bedeutend komplexer, als ein Mensch es erfassen kann.

Wenn Du das weißt, dann wirst Du niemals den ersten Gedanken der Dir in den Sinn kommt, für die richtige Lösung halten! Du wirst immer versuchen ein paar mehr in Frage kommenden Lösungen zu entdecken und Du wirst versuchen die von diesen Lösungen verursachten Folgen abzuschätzen. Denn vielleicht verursacht der nächste Schritt ja etwas, das die scheinbar positive Erstmaßnahme in der Folge zu einem negativen Desaster führt.

2 Kommentare

  1. Nette Gedanken über das Denken. Mal aus Richtung der Zeit betrachtet – Am Anfang sind viele einfache Antworten, >die nicht unbedingt schlecht sein müssen<. Durch Abwägung gegeneinander werden einige Antworten vorworfen und neue gewonnen. Hier stellt sich die Frage "wie lange muss ich überlegen, um zu einer ausreichend guten Antwort zu kommen" und "wann denke ich zu viel"? Denn je mehr ich denke desto mehr Informationen müssen (evtl.) auch gegeneinder abewogen werden. Somit kann es sein, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt eine Verbesserung der Antwort nicht mehr in endlicher Zeit erreicht werden kann bzw. die Koplexität eine Abwägung dem Gehirn unmöglich ist. Der Theorie dass schnelle Antworten schlecht oder nicht ganz so gut sind möchte ich noch den Reflex entgegen stellen. Ein Reflex ist, soweit ich weiss (auch kein Experte), eine sehr schnelle (nicht unbedingt richtige) Reaktion auf ein Ereignis. … Hat das Kind oft genug auf die heiße Herdplatte gefasst, weiss das Gehirn schon ohne den Schmerz zu spüren, dass es die Hand lieber mal schnell zurück zieht. … Vorher mal nachgedacht könnte das Gehirn natürlich auch endecken, dass eine Herplatte heiss sein kann und man besser nicht drauf fasst 😉 Gruß Stefan

  2. Hallo Stefan,
    Danke für Deine Gedanken zum Artikel! Also wenn ich das richtig verstehe, dann denkst Du schon, dass die schnelle Antwort gut sein kann? Das gibt es bestimmt auch! Aber im Durchschnitt sollte längeres Denken zu besseren Lösungen führen. Beispiel Motorradunfall: Der Ersthelfer möchte zuerst den Helm abnehmen und doch kann genau dies zu noch schwereren Verletzungen führen. Heute weiß das jeder, aber um selbst darauf zu kommen, muss ich einen Schritt weiter denken. Aber bestimmt gibt es auch eine Art Sweepspot und wenn man den verlässt, das Ganze kontraproduktiv ist.
    LG Thomas

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert